Michel Jean (* 22. März 1960 in Alma, Kanada) ist einer der bekanntesten autochthonen Autoren Kanadas und erzählt in seinen Romanen über das Schicksal der Ureinwohner, seiner Vorfahren - und diese Geschichten gehen zu Herzen.
Michel Jean: Qimmik. Ein Roman
Rezensent 1: Fokus auf die Liebe und den Verlust
"In den eisigen Weiten Kanadas entspinnt sich eine Liebesgeschichte, so zart wie das erste Frühlingsgras und so hart wie der Permafrost. Saullu, ein junges Inuit-Mädchen, findet in Ulaajuk, einem erfahrenen Jäger, ihre große Liebe.
Gemeinsam durchstreifen sie die unendlichen Landschaften, ihre Herzen schlagen im Takt der Natur. Doch die Idylle wird jäh zerstört, als die moderne Welt in ihr Leben stürmt.
Die brutale Tötung ihrer geliebten Schlittenhunde, ihrer treuen Begleiter, hinterlässt tiefe Wunden. Saullu und Ulaajuk müssen nicht nur um ihre Freiheit kämpfen, sondern auch um ihre Identität und ihre Liebe."
Rezensent 2: Betonung des kulturellen Konflikts
"Qimmik erzählt die tragische Geschichte eines Volkes, das um seine Lebensgrundlage und seine Traditionen kämpft. Die Inuit, eng verbunden mit ihren Schlittenhunden und der Natur, werden von einer fremden Macht in die Enge getrieben.
Die Massenerschießung der Hunde ist nicht nur ein Verlust materieller Güter, sondern ein Angriff auf ihre Kultur und ihre Seele. Michel Jean legt den Finger in eine offene Wunde und zeigt die verheerenden Folgen kolonialer Gewalt."
Rezensent 3: Die Suche nach Identität
"Ève Beaulieu, eine Anwältin mit einer geheimnisvollen Vergangenheit, wird in einen Fall verwickelt, der sie zu ihren Wurzeln führt. Als sie den alten Inuk Uqittuq Ainalik verteidigt, stößt sie auf ein dunkles Kapitel der kanadischen Geschichte.
Die Geschichte von Ulaajuk und Saullu, die sie dabei aufdeckt, wirft Fragen nach Identität, Zugehörigkeit und dem Recht auf ein selbstbestimmtes Leben auf. Èves eigene Suche nach ihrer Herkunft vermischt sich mit der Geschichte der Inuit zu einem berührenden Mosaik."
Fazit: Qimmik ist ein erschütternder Roman, der uns daran erinnert, wie wichtig es ist, die Geschichten der indigenen Völker zu hören und zu verstehen."
Michel Jean
Qimmik
Roman/Erzählung
Buch. Hardcover
200 Seiten, 21,00 EURO
ISBN 978-3-99029-652-3
Info: Wieser Verlag
Michel Jean
Kukum
Buchzitat: Michel Jean erzählt in Kukum die Geschichte seiner Urgroßmutter Almanda Siméon, die 97 wurde. Als Waise von ihrer Tante und ihrem Onkel aufgezogen, lernt sie mit fünfzehn den jungen Innu Thomas Siméon kennen, verliebt sich trotz der kulturellen Unterschiede sofort in ihn, sie heiraten, und Almanda lebt von da an mit dem Nomadenstamm, dem er angehört, lernt seine Sprache, übernimmt die Riten und Gebräuche der Innu von Pekuakami und überwindet so die Barrieren, die den indigenen Frauen aufgezwungen werden.
Anhand des Schicksals dieser starken, freiheitsliebenden Frau beschreibt Michel Jean auch das Ende der traditionellen Lebensweise der Nomadenvölker im Nordosten Amerikas, deren Umwelt zerstört wurde und die zur Sesshaftigkeit gezwungen und in Reservate gesperrt wurden, ohne Zukunftsperspektive, ein Leben geprägt von Gewalt, Alkohol und Drogenkonsum.
Der Roman wurde im Herbst 2020 mit dem Prix littéraire France-Québec ausgezeichnet.
Michel Jean
Atuk
Buchzitat: Michel Jean erzählt in Atuk aus ihrer Perspektive die Geschichte seiner Großmutter Jeannette, die neben seiner Urgroßmutter Almandra, seiner Kukum, die zweite starke Frau der Familie Siméon war, deren ursprünglicher Name Atuk lautete.
Durch ihre Heirat mit einem Mischling, der als Weißer gilt, verliert sie nach dem Indianergesetz ihren Status als Indianerin, muss das Reservat verlassen und in die Stadt ziehen, wo sie elf Kinder großzieht. Aufgrund dieser Situation wächst auch Michel Jean in der Stadt auf, außerhalb der Innu-Gemeinschaft.
In einem zweiten Strang erzählt er, wie er seine Familie und seine Kultur entdeckt und sich nach und nach seiner Identität als Innu bewusst wird, ein schwieriger Prozess, in dem er auch immer wieder rassistischen Anfeindungen ausgesetzt wird.
Über sein Volk und seine Familie zu schreiben wird für ihn zu einer Möglichkeit, seine und die Geschichte seines Volks, dessen Sprache zu lernen ihm verwehrt war, kennenzulernen und sich mit ihr zu identifizieren und die Geschichte der Ureinwohner zu erzählen, die in den Geschichtsbüchern so gut wie nicht vorkommt.
„Manchmal bietet das Leben Chancen, die ebenso unwahrscheinlich wie wunderbar sind.“
Michel Jean
Maikan
Buchzitat: Während mehr als eines Jahrhunderts waren die zentralen Ziele der kanadischen Politik gegenüber den Indigenen die folgenden: die indigenen Regierungen eliminieren, die Rechte der Indigenen ignorieren, die geschlossenen Verträge beenden und mittels eines Prozesses der Assimilation dafür sorgen, dass die indigenen Völker aufhören, als gesetzliche, soziale, kulturelle, religiöse und rassische Entitäten zu existieren.
Die Einrichtung und Betreibung der Internate war ein zentrales Element dieser Politik, die man als ‚kulturellen Völkermord‘ bezeichnen könnte.“ (Truth and Recociliation Commission of Canada).
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis 1996 wurden rund 150.000 Kinder in etwa 139 kirchlichen Internatsschulen (davon 10 in Québec), deren Ziel es war, den „Indianer im Kind zu töten“, „zivilisiert“.
Der Roman erzählt das Schicksal von drei jungen Innu, Marie, Virginie und Thomas, die im August 1936 ihren Familien entrissen und mit dem Flugzeug in das 1000 km entfernte Internat Fort George in der James Bay gebracht wurden, wo es ihnen verboten war, ihre Sprache zu sprechen, sie nur noch eine Nummer waren und hilflos brutalen Übergriffen und sexuellem Missbrauch von Seiten der Mönche und Nonnen ausgesetzt waren, die sie „Wölfe“ (maikan) nannten.
2013 entdeckt die Anwältin Audrey Duval, die nach überlebenden ehemaligen Internatsschülern sucht, damit sie die Entschädigung bekommen, die die kanadische Regierung ihnen bewilligt hat, dass ihre Namen spurlos aus dem Indianerregister verschwunden sind.
Mit Hilfe des alten Nakota „Jimmy“, der obdachlose Indigene mit Essen versorgt, macht sie Marie in einem abgelegenen Dorf im äußersten Osten Québecs ausfindig, wo sie als völlig verwahrloste Alkoholikerin lebt, und erfährt von ihr die ganze Geschichte.
Michel Jean wendet sich in seinem erstmals 2013 erschienenen Roman einer der finstersten Perioden der Geschichte Kanadas zu, die bis heute nicht wirklich aufgearbeitet ist.
Durch die Funde von gut 1000 Überresten von Leichen indigener Kinder in Massengräbern in der Nähe ehemaliger Umerziehungsinternate 2021 und Anfang 2022 bekommt dieser erschütternde Roman noch einmal eine neue Aktualität und Brisanz.
Buchempfehlung:
Tiohtiá:ke: Montreal
Michel Jean
Buchzitat: In diesem Roman wendet sich Michel Jean den autochthonen Männern und Frauen zu, die als Obdachlose auf den Straßen Montréals – Tiohtiá:ke, wie die Stadt in der Sprache der Mohawk genannt wird – leben.
Der junge Innu Élie Mestenapeo kommt, verbannt aus seiner Gemeinde Nutashkuan an der Côte Nord, weil er seinen gewalttägigen und alkoholsüchtigen Vater ermordet hat, nach einer zehnjährigen Gefängnisstrafe nach Montréal. Dort trifft er auf Angehörige unterschiedlicher Nationen, Innu, Cree, Atikamekw, Inuit, die sich am Square Cabot eine eigene kleine Gemeinschaft geschaffen haben.
Unter ihnen findet er Freunde, alle mit ihrer eigenen Geschichte, die ihm helfen, wieder ins Leben zurückzufinden: Geronimo, Charlie, den Sänger Caya, die Inuit-Zwillinge Mary und Tracy aus Nunavik und den alten Nakota Jimmy, der die Obdachlosen in seinem Kochmobil mit Essen versorgt.
Marys Tochter Lisbeth, die von ihrer Mutter zur Adoption freigegeben wurde und die gerade ihr Medizinstudium beendet und Élies Freundin wird, bestärkt ihn, die schulischen Voraussetzungen für ein Studium nachzuholen und ein Jurastudium zu beginnen. Kurz vor ihrem Tod gesteht Élies Mutter, die er nie wiedergesehen hat, dass sie seinen Vater, ihren Mann, umgebracht hat.
Die Nachforschungen der Anwältin Audrey Duval, die schon, wie auch der alte Jimmy, eine zentrale Rolle in dem Roman Maikan gespielt hat, bestätigen ihr Geständnis. Da Élie nun kein Mörder mehr ist, wird auch die Verbannung aus seiner Heimatgemeinde aufgehoben.
Jean Michel behandelt in diesem bewegenden Roman in kurzen Kapiteln einen Aspekt der Realität der Premières Nations, der gern verdrängt wird. Er schildert die Auswirkungen, die die erzwungene Sesshaftigkeit und Verschleppung der Kinder in die kirchlichen Umerziehungsinternate bis in die Generationen der Kinder und Enkelkinder haben, aber auch die Menschlichkeit, Stärke und gegenseitige Hilfe, mit der diese entwurzelten Menschen ihr Leben auf der Straße meistern.
Damit ist der Roman eine konsequente Fortsetzung der vorherhergehenden Romane in die Gegenwart des 21. Jahrhunderts. Zum Buch (Amazon-Link)
Übersetzung: Michael von Killisch-Horn wurde 1954 in Bremen geboren. Seit dem Studium der Romanistik, Germanistik und Deutsch als Fremdsprache in München arbeitet er als Übersetzer aus dem Französischen und Italienischen. Seit einem dreimonatigen Aufenthaltsstipendium 2013 in Montréal interessiert er sich auch verstärkt für die Literatur Québecs und verbringt jedes Jahr mehrere Wochen in Montréal.
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